Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Detailansicht


Bochum

Arme werden ärmer, Reiche werden reicher

Haushaltsrede von Ernst Lange (Vorsitzender Linksfraktion Bochum) für das Haushaltsjahr 2008

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
meine Damen und Herren Gäste,
liebe Kolleginnen und Kollegen


Nach mehrmonatiger Beratung - länger als geplant- beschließen wir heute den Haushalt. Erlauben Sie mir vor meiner eigentlichen Rede zwei kurze Vorbemerkungen:

Erstens: Ich hoffe kürzer zu sprechen als meine Vorredner, weil wir ja vielleicht noch alle zumindest kurz das schöne  Wetter genießen wollen.Zweitens: Ich möchte mich beim Kämmerer und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Sie haben uns nicht nur wie gewohnt einen Haushalt vorgelegt, sondern mussten auch noch ab Februar die finanziellen Verluste verarbeiten, die durch die Schließung des Nokia-Werkes und durch die Zockerei der WestLB in den kommenden Jahren auf uns zu kommen werden.

 

Doch jetzt will ich Sie nicht weiter auf die Folter spannen. Sie haben es vielleicht schon erwartet:

Die LINKE im Rat wird den Haushalt ablehnen.

 

Wir sehen durchaus das Bemühen, das soziale Gefüge der Stadt nicht noch weiter aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen. Es ist zwar positiv, dass nicht einfach nach dem Rasenmäherprinzip überall gekürzt wurde, aber die Akzente im Haushalt hätten anders gesetzt werden müssen.

 

Da darf nicht an einem Konzerthaus festgehalten werden, das ab 2010 das städtische Defizit auf Jahrzehnte zementieren wird. Da müssen ökonomisch und ökologisch unsinnige Projekte wie Westkreuz oder U-Bahnhaltestelle Biomedizin-Park gestrichen werden. Und da muss auch der Mut vorhanden sein, Projekte zu stoppen, wenn die Kosten explodieren, wie beim Platz des europäischen Versprechens.

 

Und eines ist doch auch klar: Eine Kampagne wie ?Bochum macht jung?, die öffentlich so in der Kritik stand, kann nicht erfolgreich zu Ende geführt werden. Das sagt nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern das haben mir auch Leute gesagt, die mit der Durchführung von Kampagnen vertraut sind und ihr Geld damit verdient haben.

 

Die Millionen, die in diesen gerade genannten Projekten verplant sind, wären besser in dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen an Schulen oder in sozialen Maßnahmen aufgehoben.

 

Meine Damen und Herren,

 

die Armen werden Ärmer und die Reichen reicher. Dies gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für Bochum - die Schere zwischen arm und reich geht weiter auseinander. Das belegen in eindrucksvoller Weise die Zahlen des vorliegenden Sozialberichts. Armut ist in Bochum höchst ungleich verteilt. Den besonders benachteiligten Ortsteilen Gleisdreieck, Goldhamme, Stahlhausen, Hamme, Querenburg und Wattenscheid-Mitte stehen die privilegierten Ortsteile im Bochumer Süden gegenüber.

 

Kinder stellen auch in unserer Stadt ein nicht unerhebliches Armutsrisiko dar. Beziehen im Durchschnitt 13,7 % aller Bochumerinnen und Bochumer ALG II oder Sozialgeld so sind es in kinderreichen Haushalten 32,3 % und unter Alleinerziehenden sogar 38.3 %. Geradezu dramatisch stellt sich die Situation bei ausländischen Kindern und Jugendlichen dar - mehr als die Hälfte ist von Armut betroffen.

 

Der Bericht unterstreicht, was DIE LINKE im Rat in der Vergangenheit immer wieder betont hat: Arme Kinder können nichts dafür, dass sie arm sind und brauchen Hilfe und Unterstützung. Vor diesem Erkenntnishintergrund hat DIE LINKE etliche Anträge gestellt, die von den Mehrheiten in den Ausschüssen und im Rat abgelehnt wurden. Wir erinnern an dieser Stelle an unsere Forderung nach einem kostenfreien ersten KiTa-Jahr, nach einem Sozialtarif für Strom und Gas. Wir haben in Einklang mit dem DGB und der evangelischen Kirche eine Einschulungsbeihilfe für arme Kinder gefordert, damit nicht gleich am ersten Schultag deutlich wird, dass es z.B. Kinder mit und ohne Schultüten gibt. Als Ablehnungsbegründung wurde immer wieder ins Feld geführt, dass die Kommune nicht all das ausbügeln kann, was Hartz IV verursacht.

 

Das ist ein Totschlagargument. Als Alternative hat sich der ?Verein zum Ausgleich sozialer Härten? gegründet, der - wenn überhaupt - soziale Härten mildern aber nicht ausgleichen kann. Mittlerweile heißt der Verein ?Förderturm e.V.?, was das Ganze auch nicht besser macht. Auch wenn der ?Förderturm?, das ein oder andere fördert, wir bleiben dabei: Öffentliche Daseinvorsorge gehört in die öffentliche Hand! Nur so sind Transparenz und demokratische Kontrolle gewährleistet.

 

Frau Doktor Scholz,

meine Damen und Herren,

 

zurück zum Haushalt. Er umfasst ca. 1,2 Mrd. Euro. Allein 900 Mio. Euro betragen die Schulden der Stadt und in 2008 sind 63 Mio. Euro an Zinszahlungen fällig. Ein gewaltiger Posten! Aber nicht alle Probleme sind hausgemacht.

 

An dieser Stelle muss immer wieder eine Gemeindefinanzreform eingefordert werden, die die Gemeinden in die Lage versetzt, ihren Aufgaben nachgehen zu können. Aber das Gegenteil ist der Fall - anstelle von Entlastungen kommen weitere Belastungen auf die Kommunen zu, wie die Mindereinnahmen durch die Unternehmenssteuerreform des Bundes.

 

Darüber hinaus werden Kosten von Bund und Land an die Kommunen weitergereicht. Als Beispiele seien genannt:

  • die Kosten der Unterkunft, wo sich der Bund zunehmend aus der finanziellen Verantwortung stiehlt und
  • das KiBiz, wo das Land die Kosten an die Kommune und Eltern weiterreicht.

 

Aber nicht genug damit - Bochum wurde noch einmal zusätzlich gebeutelt. Der Weggang von NOKIA reißt ein großes Loch in den Gewerbesteuerertrag. Inhaltlich brauchen wir uns über diese Art von Karawanenkapitalismus heute nicht mehr auszutauschen. Aber es ist schon empörend, dass die Riesengewinne in Bochum dem Konzern nicht reichen, weil in Rumänien die Rendite noch höher ist. Hier wird der Kapitalismus rheinischer Prägung vom Manchesterkapitalismus ersetzt.

 

Und auch der Versuch von WestLB-Managern, als Global-Player zu agieren, kostet der Stadt sehr viel Geld - ca. 5 Mio. Euro Gewerbesteuer muss die Stadt an die Sparkasse zurückzahlen. Die Verantwortlichen für das Desaster zucken mit den Schultern und lassen die Zeche wieder von anderen bezahlen.

 

Meine Damen und Herren,

 

die Haushaltsberatungen standen diesmal unter besonders schlechten Vorzeichen. Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es mehr als bedauerlich ist, dass unsere Sparvorschläge, - erinnert sei hier an das Konzerthaus, den Platz des europäischen Versprechens oder das Westkreuz - keine Mehrheiten gefunden haben. Mit den so eingesparten Mitteln wären z.B. weitere Schulsanierungen möglich. Es ist erfreulich, dass die Koalition und wir uns in dem Punkt einig sind, dass es an der Heinrich-Böll- und an der Willy-Brandt-Gesamtschule keine Verzögerung bei den anstehenden Arbeiten geben darf.

 

Erfreulich ist auch, dass Bochum es sich leistet, ein neues Gymnasium zu bauen. In Wiemelhausen wird ein Gymnasium entstehen, in dem die guten Inhalte zweier Schulen zusammengeführt werden und an dem Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler arbeiten und lernen können, ohne in ihrer Gesundheit gefährdet zu sein, wie es bis heute an der Albert-Einstein-Schule leider der Fall ist. Hier wird in die Zukunft unserer Kinder investiert.

 

Meine Damen und Herren,

sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

 

ich will noch einmal zum Anfang meiner Rede zurückkommen. Dieser Haushalt kann unsere Zustimmung nicht finden. Er setzt zu sehr auf Schwerpunkte, die wir für politisch falsch halten:

 

Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Nicht nur weil es hunderttausende Menschen in Armut gestützt hat, nicht nur weil es Millionen die Sicherheit nimmt, einen erreichten Lebensstandard auch im Fall von Arbeitslosigkeit  wenigstens annähernd erhalten zu können. Das Gesetz hat uns auch die 1-Euro-Jobs gebracht. Unsere Kritik daran ist, glaube ich, hinlänglich bekannt. Wir bedauern es sehr, dass unser Vorschlag keine Mittel für 1- Euro-Jobs im städtischen Haushalt bereit zu stellen, wieder einmal abgelehnt wurde.

Diese Mittel wären in dem Aufbau eines zweiten öffentlich geförderten Arbeitsmarktes sinnvoller eingesetzt.

 

Auch unsere Position zur neuen Spielstätte der Bochumer Symphoniker ist bekannt. Je näher ein Baubeginn rückt - der bisher allerdings noch nicht terminiert werden konnte - wird unseres Erachtens auch die Finanzierung immer dubioser. Die geforderten 15 Mio. Euro aus privaten Spenden sind noch nicht beisammen - es fehlen immer noch ca. 5,3 Millionen.

Was wir überhaupt nicht akzeptabel finden: In der Spendenkampagne wird davon ausgegangen wird, dass auch nach Baubeginn noch 1,7 Millionen gesammelt werden sollen. Was ist, wenn das Geld nicht zusammenkommt? Angesichts der Finanzlage - und so ist ja auch die Beschlusslage - kommt ein weiterer Zuschuss der Stadt nicht in Frage.

Aber auch wenn all die Zusagen eingehalten würden, halten wir eine jährliche Miete von mindestens (!) 1,7 Millionen Euro pro Jahr derzeit absolut nicht für vertretbar.

 

Wir möchten an dieser Stelle unserer Ablehnung der Kampagne ?Bochum macht jung? mit Nachdruck bekräftigen. Die 900.000 Euro können angesichts der Haushaltslage in unserer Stadt sinnvoller zum Einsatz kommen.

 

Auch der Ausbau des Westkreuzes ist so eine Idee, von der man unbedingt die Finger lassen sollte. Der Ausbau wird mehr Verkehr, mehr Lärm- und Feinstaubbelastungen bringen. Auch das Argument, dass Bundes- und Landesmittel fließen werden, ist kein wirkliches Argument. Auch das sind Steuergelder, mit denen sorgsam umzugehen ist.

 

Wir betonen an dieser Stelle noch einmal, dass wir den Bau einer Haltestelle am Biomedizinpark für einen ausgesprochen teuren Schildbürgerstreich halten. Auf der Fläche steht noch kein einziges Gebäude, doch eine Haltestelle muss her.

 

Mit der Ablehnung unserer Vorschläge hat die Mehrheit in diesem Haus unserer Meinung nach eine Chance vertan, dass Gesicht dieser Stadt nachhaltig ein wenig ökologischer und sozialer zu gestalten.

 

Aber ich will ja nicht nur schlechte Stimmung verbreiten. Zeitverzögert setzen sich doch einige unserer Forderungen durch. LINKS wirkt. Nicht nur im Bund auch im Land und in der Kommune. Auch in Bochum. Ich möchte zwei Beispiel zeitverzögerter Einsicht nennen:

 

1. Wie von uns schon seit 2006 gefordert, wird die Bochumer Heizkostenrichtlinie nicht mehr angewendet, die Kürzungen werden ausgesetzt.

 

2. Seit Jahren fordern wir eine moderate Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes um 10 Punkte von 450 auf 460 v.H., was in der Vergangenheit immer einstimmig abgelehnt wurde. In diesem Jahr sieht die Situation anders aus. Wohl auch vor dem Hintergrund der erheblichen Haushaltslöcher schlägt die Verwaltung für nächstes Jahr eine Erhöhung genau dieser 10 Punkte vor. Und ich bin jetzt einfach mal so vermessen zusagen: Vor dem Hintergrund unserer in der Vergangenheit vorgebrachten Argumente konnte sich auch die Koalition nicht länger wehren und stimmt der Erhöhung zu.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

 

ich komme zum Schluss: Ich glaube, ich habe Ihnen darlegen können, warum wir den Haushalt in der vorliegenden Form ablehnen.

 

Ganz kurz möchte ich einen kleinen Ausblick auf die Haushaltsberatungen für 2009 werfen: Der kommende Haushalt wird erstmalig vollkommen nach dem Neuen Kommunalen Finanzmanagement (NKF) strukturiert sein. Das wird die Beratungen nicht leichter machen - im Gegenteil. Vielmehr befürchten wir weniger Transparenz und Vergleichsmöglichkeiten und damit noch weniger Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger. Dies sehen wir mit großer Sorge.

 

Aber eines will ich an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen: Ich hoffe, dass die Beratungen des Haushaltes nicht wieder von solchen Hiobsbotschaften begleitet werden wie in diesem Frühjahr.

 

Und ich hoffe, dass in den kommenden Jahren die Vernunft häufiger vor Parteigrenzen nicht halt macht und Sie sich häufiger direkt unseren berechtigten Anliegen anschließen.

 

Ich danke Ihnen.

 

Bochum, den 8.5.2008