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Rhein-Erft

"Die systematische Unterfinanzierung der sozialen Aufgaben vor Ort darf nicht tatenlos hingenommen werden."

Haushaltsrede 2010 von Hans Decruppe, Vorsitzender DIE LINKE. im Kreistag Rhein-Erft

Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Damen und Herren,

wir erleben seit über einem Jahr eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die in ihren Auswirken noch nicht absehbar ist. Den Kommunen brechen die Steuereinnahmen weg. Dies stellten Sie, Herr Landrat, in der letzten Kreistagssitzung am 10. Dezember 2009 fest. Sie formulierten:

?Die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung ist in hohem Maße gefährdet.?
Dieser Aussage kann ich und können wir, DIE LINKE, nur zustimmen. Nicht zustimmen können wir jedoch den Konsequenzen, die Sie, Herr Landrat, aus dieser Situation ziehen. Und vor allem vermissen wir jede ökonomische und politische Analyse zu den Gründen, die zu der Krise geführt haben.

Das ?Einreißen von geistigen Stadtmauern? zu proklamieren, hört sich ja schön an, reicht aber nicht ansatzweise. Und wer - wie Sie, Herr Landrat ? mit einem Finger auf andere zeigt, - natürlich auf die kreisangehörigen Kommunen - muss immer bedenken, dass gleichzeitig mindestens drei Finger zurück auf die eigene Person zeigen.

Wer 11 Bauhöfe im Kreis beklagt ? im Ergebnis wohl zu Recht -, aber kein kritisches Wort zur Wirtschaftsförderung des Kreises und ihrer (In-)Effektivität verliert, der ist in diesem Punkt inkonsequent und kann nicht überzeugen.
Die Ursachen der Finanzprobleme der kommunalen Ebene liegen doch nicht in diesen ? sicherlich teilweise ? überholten Strukturen: Sie liegen primär in einer verfehlten Steuer-, Einkommens- und Sozialpolitik auf Landes- und Bundes- ebene, deren Zeche die kleinen Leute und die Kommunen zu zahlen haben und die eine zentrale Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise ist: nämlich insbesondere die fehlende binnenwirtschaftliche Nachfrage ? d.h. die Nachfrage der kleinen Leute und der Kommunen - und im Hintergrund die systematische Umverteilung von Volksvermögen von unten nach oben, die die von realer Ökonomie losgelösten Spekulations- und Finanzblasen und das Platzen dieser Blasen erst möglich gemacht haben.

Aber darüber soll ? wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Landrat ? nicht nachgedacht werden dürfen. Oder was sollte es bedeuten, als Sie in der letzten Kreistagssitzung sagten:
?Das Verweisen auf das Land und auf den Bund ist vielleicht politisch interessant, schafft aber keine Lösungen.?
Schafft keine Lösungen?! - Wieso schafft es keine Lösungen, dass über verfehlte Politik im Bund und im Land in NRW nachgedacht wird? ?

Wer mit dem Anspruch antritt, geistige Stadtmauern einreißen zu wollen, ist unglaubwürdig, wenn er gleichzeitig solche Denkverbote aufstellt.

Und es ist zugleich inkonsequent und unlogisch, weil an anderer Stelle von Ihnen völlig zu Recht betont wird, dass der
?unaufhörliche Anstieg der sozialen Aufwendungen?
sei es    - Hilfe zur Pflege, - Pflegewohngeld
- Grundsicherung im Alter und in besonderen Lebenslagen - Eingliederungshilfen für Behinderte - Hilfen zur Gesundheit und - Kosten der Unterkunft für Leistungen nach dem SGB II
Sorge bereitet. - Natürlich muss das Sorge bereiten!
Wenn z.B. der Bund seine Beteiligung an den Kosten der Unterkunft für Hartz IV-Empfänger/innen von 29,1 % im Jahr 2005 auf 25,4 % im Jahr 2009 auf nunmehr 23,6 % in 2010 abgesenkt hat, aber nach den Zahlen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes dieser Anteil des Bundes ca. 38 % betragen müsste, dann bleibt der Rest von 15 % Unterdeckung eben bei den Kreisen und kreisfreien Städten hängen.

Und bei dieser systematischen und gewollten Unterfinanzierung ist die eben geführte Diskussion über Optionskommunen (statt ARGE) überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Kommunen bzw. Kreise übernehmen sich personell und finanziell, wenn man in Rechnung stellt, welche Kosten da im Raume stehen. Und ich sehe die Gefahr, dass wegen der Finanzprobleme der Zugriff der Kommunen auf 1-Euro-Jobs gefährlich zunehmen kann; die öffentlichen Diskussionen in den letzten Tagen über ?Schnee schippen? und ?Straße fegen? zeigen ja in eine entsprechende Richtung.

Aber diese systematische Unterfinanzierung der sozialen Aufgaben vor Ort darf doch nicht tatenlos hingenommen werden. Das ist keine Frage linker Politik, sondern eine Frage kommunalpolitischer Selbstbehauptung, eine Frage der Demokratie vor Ort, nämlich ob zukünftig überhaupt noch finanzielle Spielräume für demokratische Gestaltung bleiben oder ob nur noch der Mangel zu verwalten ist, wie in vielen Gemeinden des Kreises bereits Realität ist.
-    Wenn z.B. in Bedburg über Schließung von Jugendzentren geredet wird,
-    wenn in Erftstadt Volkshochschulen von Kürzungen betroffen sind, -    und wenn in Kerpen die Übermittagsbetreuung an der Realschule nur
auf ehrenamtlicher Basis sichergestellt werden kann,
dann ist das zugleich ein zutiefst soziales Thema, denn es trifft an erster Stelle immer diejenigen, die es sich privat finanziell nicht leisten können. Man kann und muss es auch so sagen: Unterfinanzierte Kommunen und Kreise sind immer strukturell unsozial; sie sind unsozial, auch wenn sie ansonsten ?schuldenfrei? sein mögen. Und das gilt auch für die Situation im Rhein-Erft-Kreis.
Wenn ? worauf Sie, Herr Landrat, zu Recht hinweisen - ?Bundes- und Landesgesetze zu Lasten Dritter erlassen werden,?und Sie an anderer Stelle ? ich zitiere Sie wieder - die
?verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung (...) in hohem Maße gefährdet?
sehen, dann ist dies nicht ?zu hinterfragen?, wie Sie sich ausdrücken, sondern dann ist das ein schlicht verfassungswidriger Zustand.

Es ist verfassungswidrig, denn Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt:
?Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; (...)?
Und das Konnexitätsprinzip nach Art 78 Abs. 3 der Landesverfassung NRW bestimmt:
?Das Land kann die Gemeinden und Gemeindeverbände durch Gesetz oder Rechtsverordnung zur Übernahme und Durchführung bestimmter öffentlicher Aufgaben verpflichten, wenn dabei gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten getroffen werden. Führt die Übertragung neuer oder die Veränderung bestehender und übertragbarer Aufgaben zu einer wesentlichen Belastung der davon betroffenen Gemeinden oder Gemeindeverbände, ist dafür durch Gesetz oder Rechtsverordnung aufgrund einer Kostenfolgeabschätzung ein entsprechender finanzieller Ausgleich für die entstehenden notwendigen, durchschnittlichen Aufwendungen zu schaffen. Der Aufwendungsersatz soll pauschaliert geleistet werden. Wird nachträglich eine wesentliche Abweichung von der Kostenfolge- abschätzung festgestellt, wird der finanzielle Ausgleich für die Zukunft angepasst.

Das Nähere zu den Sätzen 2 bis 4 regelt ein Gesetz; darin sind die Grundsätze der Kostenfolgeabschätzung festzulegen und Bestimmungen über eine Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände zu treffen.?

Aber wenn der notwendige finanzielle Ausgleich in verfassungswidriger Weise verweigert wird ? oder tut das Land NRW denn hier etwas?, frage ich Sie -, dann ist die Verwaltung in der Pflicht, von Amts wegen zu prüfen, ob nicht auch rechtliche Schritte geboten sind. Sie hinterfragen ? aber sonst wird nichts getan.
DIE LINKE wird das jedenfalls nicht hinnehmen. Wir werden deshalb in der nächsten Kreistagssitzung - und zugleich in den Räten der kreisangehörigen Gemeinden ? den Antrag einbringen,
?die Verwaltung zu beauftragen, zu prüfen, ob und inwieweit die finanziellen Auswirkungen der Aufgabenzuweisung des Landes NRW an die Kommunen, insbesondere an den Rhein-Erft-Kreis, den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung verletzt (gem. Art. 28 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 78 Abs. 1 und 3 Verfassung des Landes NRW).?
Und wenn dies bejaht werden wir beantragen,
?unverzüglich Klage beim Landesverfassungsgericht NRW auf Einhaltung des Konnexitätsprinzips zu erheben.?
Am Besten in Streitgenossenschaft mit anderen gleichermaßen betroffenen Kommunen und Kreisen.
Und sage niemand, das Geld für die erforderliche Finanzausstattung der Kommunen und Kreise sei nicht vorhanden: Wenn mehrere hundert Milliarden Euro für einen Schutzschirm für Banken, den Verursachern der Krise, ausgegeben werden können, dann ist auch genug Geld vorhanden für einen Schutzschirm für Kommunen, die nicht wie die Banken Täter, sondern Opfer der Krise sind.

Und es gibt weitere Punkte, die ich ansprechen möchte:
Als Neuling in diesem Kreistag höre ich in vielen Dingen erst mal zu und ich habe in der Positionierung des Landrats eine Reihe Punkte gefunden, bei denen er sich engagiert, beim virtuellen Kreis, bei der Metropolregion und dem Masterplan Regio Grün bis hin zum Tagestourismus usw. ?
Es gibt auch einen Punkt, der unsere volle Sympathie hat: Die Einrichtung eines Betriebskindergartens beim Kreis gemeinsam mit anderen Behörden, um Eltern, aber im Kern jungen Müttern eine schnellere Rückkehr in den Beruf zu ermöglichen. Das ist eine Supersache, deren Übertragung auch auf die Privatwirtschaft vorangetrieben werden müsste.
Nur bei einem Punkt habe ich nichts vernommen: Es fehlt eine klare Aussage, die den derzeit rund 20.000 Arbeitslosen im Kreisgebiet und ihren Familien eine Perspektive bietet. Die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen unter 25 Jahren ist aktuell um 11,3 % gestiegen und es ist absehbar, dass es in diesem Jahr für Jugendliche noch schwieriger werden wird, Ausbildung und Arbeit zu finden.


Mit welchen Instrumenten und auch finanziellen Mitteln ? siehe Haushalt - hier im Kreis Perspektive für diese Menschen geschaffen werden kann und soll, dazu findet sich keine Aussage. Diese Menschen finden nicht statt, nicht einmal die unzulängliche und z.T. rechtsstaatlich nicht akzeptable ?Verwaltung dieses Problems? durch die ARGE Rhein-Erft, wie sie um Bericht des Rechnungsprüfungsamtes für 2007/2008 beschrieben wird, findet bei Ihnen, Herr Landrat, Erwähnung.
Wenn anderseits das ?Gewässerauenprogramm? und der ?Tagestourismus? für erwähnenswert gehalten wird, aber nichts Konzeptionelles zur Bekämpfung von Armut und der Arbeitslosigkeit im Kreis gesagt wird, dann besteht in Fragen der sozialen Politik offenkundig ein ?Blinder Fleck?!

Hier stimmt die Richtung nicht ? bzw. in der für uns, für DIE LINKE entscheidenden sozialen Frage ist eine Richtung nicht erkennbar. Deshalb kann DIE LINKE dieser Richtung nicht folgen und sie wird daher den Haushalt ablehnen.