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Uwe Vorberg, Bochum

"Städtische Beschäftigte sind keine Zitronen"

Rede von Uwe Vorberg (Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Rat der Stadt Bochum) zum Haushalt 2012

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger spüren jetzt die Kürzungsbeschlüsse der letzten Jahre, insbesondere die des Haushaltssicherungskonzepts 2009 / 2010. Fast in jeder Ratssitzung in den letzten Monaten wurden konkrete Umsetzungsbeschlüsse gefasst: In fast allen städtischen Einrichtungen wurden die Eintrittspreise erhöht, gleichzeitig wurden die Angebote reduziert. Heute steht zum Beispiel die Reduzierung der Öffnungszeiten der städtischen Bäder in diesem Sommer auf der Tagesordnung; eine Maßnahme aus dem letzten Haushaltssicherungskonzept. Trotz dieser zum Teil schon drastischen Kürzungsmaßnahmen hatte die Stadt Bochum in den letzten Jahren keinen genehmigten Haushalt. Damit ging es der Stadt Bochum nicht anders als vielen anderen Kommunen im Ruhrgebiet und im Bergischen Land. Denn die Ursachen der drohenden Überschuldung dieser Städte liegen nicht im individuellen Fehlverhalten, in einer maßlosen Ausgabenpolitik, sondern diese Überschuldung hat strukturelle Ursachen: Die chronische Unterfinanzierung vor allem der sozialgesetzlichen Pflichtaufgaben zu Lasten der Kommunen, die falsche Verteilung der Kosten der deutschen Einheit, eine abenteuerliche Steuerverzichtspolitik zugunsten der Reichen, eine langjährige Umverteilung von unten nach oben sowie die Konzentration von Wirtschaftsressourcen auf eine finanzmarktgetriebene Profitmaximierung haben einen gewaltigen Scherbenhaufen hinterlassen.Ich gehe mal davon aus, dass die Mehrheit in diesem Haus um diese Zusammenhänge weiß. Das Aktionsbündnis "Raus aus den Schulden", in dem auch der Verwaltungsvorstand mitwirkt, hat ja häufig genug darauf hingewiesen. Auch das Junkernheinrich-Lenk-Gutachten zur Entschuldung der Kommunen hat sehr deutlich gemacht, dass ohne massive Unterstützung durch Bund und Land die Kommunen den Weg aus der Überschuldung nicht schaffen können. Diese Unterstützung wird aber in absehbarer Zeit nicht kommen. Trotz dieses Wissens hat die Mehrheit hier im Haus beschlossen, aus Angst vor einem nicht genehmigten Haushalt mit der Bezirksregierung eine Beratungskooperation einzugehen. Diese sollte genau die Kürzungen freiwillig beschließen, die die Bezirksregierung bei einem nicht genehmigten Haushalt zwangsweise durchgesetzt hätte. Und das in dem Wissen, dass die beschlossenen Maßnahmen spätestens mit der nächsten Wirtschaftskrise, vielleicht aber schon mit dem aktuellen Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst, nicht ausreichen werden, um langfristig einen ausgeglichen Haushalt zu erreichen. Manche mögen das mutig finden, manche mögen das realitätsblind finden, ich finde, das ist vergleichbar mit einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod.Heute soll über den Haushalt 2012 und über ein Kürzungspaket von zusätzlich 58,7 Millionen Euro jährlich beschlossen werden. Dieses sind überwiegend Vorschläge der von der Beratungskooperation von Stadt und Bezirksregierung vorgelegten Streichliste. Eine kleine Arbeitsgruppe mit VertreterInnen der Stadt und der Bezirksregierung hat noch vor den eigentlichen Haushaltsberatungen Fakten geschaffen und Einsparungen in Höhe von fast 65 Mio. Euro vorgeschlagen. Diese mussten zum größten Teil umgesetzt werden. Das war faktisch ein Spardiktat ohne großen Spielraum. Mit dem aus Arnsberg gelenkten Haushalt wurde aus Sicht der LINKEN die kommunale Selbstverwaltung  ausgehebelt.Einige der schlimmsten Grausamkeiten dieser Streichliste wurden in den Ausschüssen teilweise fraktionsübergreifend zurückgenommen. Die Schließung des Museums Bochum, die Abschaffung des Bochum-Passes, die Kürzung bei den Jugendverbänden und beim Personal der Krisenhilfe, die Zusammenlegung von Bürgerbüros und Bezirken, die Abschaffung der Beiräte (Agenda, Frauen, Senioren) und die Stilllegung von Brunnen ist vom Tisch. Dazu hat auch DIE LINKE mit ihren entsprechenden Anträgen beigetragen. Das sind aber die einzigen Lichtblicke.Neben den vielen Entgelterhöhungen bei Bädern und Kultureinrichtungen und gekürzten Öffnungszeiten werden die Bochumer Bürgerinnen und Bürger über die Erhöhung der Grundsteuer zusätzlich belastet. Die Gewerbe- und die Grundsteuer sind die wichtigsten kommunal beeinflussbaren Einnahmen für die Stadt Bochum. In den letzten Jahren hat sich hier eine Schere entwickelt: Während die Gewerbesteuer nur sehr moderat erhöht wurde, wurde bei der Grundsteuer, die schließlich auch auf die Mieten umgelegt wird, kräftig drauf gesattelt. Und mit der geplanten Umwandlung des USB in eine Anstalt öffentlichen Rechts soll die Grundsteuer noch einmal kräftig erhöht werden. Dies ist unsozial, deshalb wollte DIE LINKE dies zurücknehmen. SPD und Grüne blieben jedoch leider bei diesem Beschluss.Viele Kürzungen gehen auch zu Lasten der städtischen Beschäftigten. Beim Personal wurden massive Stellenkürzungen beschlossen. Das hat ein Vertreter der Bezirksregierung in der Beratungskooperation so ausgedrückt: ?Die Zitrone kann noch weiter ausgequetscht werden.? Was hier aber ausgequetscht wird, ist keine Zitrone, sondern das sind die städtischen Beschäftigten, die den Personalabbau über zunehmende Arbeitverdichtung auffangen müssen. Für DIE LINKE sind weitere Personalkürzungen nicht zumutbar.Gleichzeitig werden hier Personalkürzungen beschlossen, ohne Konzepte für zukünftige Aufgabenwahrnehmung, Organisations- und Personalentwicklung vorzulegen. Das ist wenig seriös. Trotzdem werden über kurz oder lang auch die Bürgerinnen und Bürger die Auswirkungen in Form von schlechteren öffentlichen Serviceleistungen zu spüren bekommen. Die Öffnungszeiten der Bürgerbüros sind ja bereits gekürzt. Ein Vorgeschmack auf die zukünftige Servicekultur können die Bürgerinnen und Bürger schon jetzt bekommen, wenn sie einmal das Ausländerbüro besuchen.Die Stadt Bochum kann sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Zwar werden viele der angedrohten Maßnahmen Wirkung entfalten: Sie zerstören die sozialen Strukturen unserer Stadt. Aber sie werden dauerhaft nicht zu einem ausgeglichenen Haushalt und erst Recht nicht zum Schuldenabbau führen. Das liegt auch daran, dass eine Reihe der vorgeschlagenen Maßnahmen Luftbuchungen sind. Schon jetzt ist klar, dass sie nicht realisiert werden können oder nicht die prognostizierten Einsparungen erwirtschaften. Das wird ähnlich kommen wie beim HSK 2009/2010: Auch da ist nach 2 Jahren klar: Kürzungen von 15,6 Millionen Euro sind nicht realisierbar. Was wollen Sie dann machen? Wollen Sie nach dem Kürzungspaket II heute mit dem nächsten Haushalt bereits das Kürzungspaket III verabschieden? Und als I-Tüpfelchen soll mit Biegen und Brechen ein Musikzentrum gebaut werden, für das es keine gesicherte Kostenplanung gibt und das an die Übernahme der Jahrhunderthalle geknüpft ist. Warum wohl will die Landesregierung die Jahrhunderthalle unbedingt los werden? Ich sage Ihnen warum: Weil die Kosten einfach immens hoch sind. Auf Jahrzehnte werden mit den Betriebskosten für das Musikzentrum und die Jahrhunderthalle weitere schwerwiegende finanzielle Belastungen auf die Stadt Bochum zukommen. Ich fürchte, dass im Juni ein genauso finanziell unseriöser Beschluss zum Musikzentrum und der Jahrhunderthalle gefällt wird, wie der heutige Beschluss zum Haushalt und dem Haushaltssicherungskonzept für die nächsten 10 Jahre.Sehr geehrte Damen und Herren,die Handlungsfähigkeit der Kommunen ist nur über eine verstärkte Hilfe vom Bund und Land wieder herzustellen. Jetzt im Wahlkampf wird da ja viel versprochen. Ich lese zum Beispiel auf Plakaten in der Bochumer Innenstadt: ?Kommunen weiter stärken.? Wie viel hat denn die Stadt Bochum bisher aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen der Landesregierung bekommen? Nichts! Im Gegenteil. Bochum muss sogar noch für andere Kommunen im Stärkungspakt zahlen. Und das soll weitergeführt werden? Das ist kein Wahlversprechen, das ist eine unverhohlene Drohung.Und dann sind sich verschiedene Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet nicht zu schade, im Wahlkampf Ost- und Westkommunen gegeneinander auszuspielen. Wer die kommunale Finanznot mit einer West-Ost-Neid-Debatte lösen will, springt zu kurz und in die falsche Richtung. Im Kern geht es bei der Auseinandersetzung um den Solidarpakt II doch gar nicht um eine Frage Ost gegen West. Im Kern geht es doch darum, dass die alte schwarz-gelbe Landesregierung mit Rechentricks versucht hat, den von den Kommunen in NRW zu entrichtenden Anteil künstlich hoch zu rechnen, um den eigenen Haushalt auf Kosten der Kommunen zu sanieren. Und die SPD-Grüne Landesregierung hat das einfach weitergemacht. Die Verfassungsbeschwerde von 91 Kommunen dagegen ist berechtigt. Die Regierung Kraft hatte es in der Hand, die Berechnungsmethode bei den Einheitslasten zu ändern. Die Mehrheit im Landtag wäre mit der LINKEN da gewesen. Sie hat es aber vorgezogen, das Gerichtsverfahren auszusitzen. Davon wollen die SPD-Wahlkämpfer jetzt ablenken.Natürlich ist auch DIE LINKE gegen eine Förderung nach Himmelsrichtungen. Die gibt es aber jetzt schon im Solidarpakt II nicht. Bereits im letzten Jahr flossen 5 % der Bundesergänzungszuweisungen aus dem Solidarpakt II an Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Bremen und Schleswig-Holstein- bekanntlich alles keine Ostländer. Das Problem ist die Verteilung nach Bundesländern, und nicht nach bedürftigen Regionen und Kommunen. Das muss geändert werden. Dafür brauchen wir ab 2019 einen Solidarpakt III. Die finanziellen Probleme der Kommunen sind nicht allein über eine andere Landespolitik zu lösen. Im Prinzip ist die Handlungsfähigkeit der Kommunen nur über eine andere Bundesgesetzgebung wieder herstellbar. DIE LINKE hat dazu seit langem Vorschläge vorgelegt. Vor allem die volle Finanzierung der sozialgesetzlichen Pflichtaufgaben muss endlich umgesetzt werden. Und die Gewerbesteuer soll in eine Gemeindewirtschaftsteuer umgewandelt werden, in der Steuerpflicht für Kapitalgesellschaften, gewerbliche Unternehmen und alle selbstständig ausgeübten Tätigkeiten besteht. Erst mit solchen Reformen werden die Kommunen in die Lage versetzt, ihre Schulden abzubauen und erst dann wird es möglich sein, wieder gestaltende Kommunalpolitik zu entwickeln.