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Essen

"Unabgestimmt, unausgewogen, unsozial! Ziviler Ungehorsam des Rates statt Haushaltskannibalismus!"

Hans-Peter Leymann-Kurtz (Fraktionsvorsitzender DIE LINKE. Essen)

Haushaltsrede 2010 des Fraktionsvorsitzenden DIE LINKE. Essen, Hans-Peter Leymann-Kurtz

Herr Oberbürgermeister, verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die so genannten Haushaltsberatungen des Rates finden hier und heute (endlich) ihr Ende. Ich kann ihnen gar nicht sagen wie froh ich darüber bin, weil trotz wochenlanger Beschäfti- gung meiner Fraktion mit Haushaltsplan und Haushaltssicherungskonzept, mit so genannter ?Klieve-Kurve? und der ?bürgerorientierten Haushaltskonsolidierung? bei uns der Eindruck überwiegt, dass mit diesen Haushaltsberatungen einmal mehr ein Stück gespielt wurde, das sich zwar großspurig ?Kommunale Selbstverwaltung? nennt, in Wirklichkeit aber uns, den gewählten Rat der Stadt zu Marionetten degradiert.
Diese anhaltende Aushöhlung der verfassungsmäßigen Rechte demokratisch gewählter Rä- te durch die eklatante Unterfinanzierung kommunaler Aufgaben, wird nur leider oft auch von Vertretern der Kommunalen Ebene selbst verschleiert.
Warum redet beispielsweise der Oberbürgermeister, reden die meisten Ratskollegen, aber auch die örtliche Presse immer noch öffentlich vom ?Sparen?? Ums ?Sparen? geht es doch nun wirklich nicht mehr, oder legen wir uns Monat für Monat etwas auf die hohe Kante? Etwa für noch schlechtere Zeiten? Oder um den zurzeit überflüssigen Stadionneubau für 24 Millio- nen zu finanzieren, wie es CDU, GRÜNE und FDP heute zu beschleunigen meinen. Oder um es E.ON oder anderen ansässigen Konzernen zu vermachen, damit sie bei Laune blei- ben? Nein!
Ich bin dem Kämmerer dankbar, dass er bereits in seinen Eckdaten zur Haushaltskonsolidie- rung ausdrücklich das formuliert hat, worum es in Wirklichkeit geht: Nämlich ums Kürzen, Streichen und Absenken. Und ums Kürzen, Streichen und Absenken geht es in dieser Stadt seit annähernd zwanzig Jahren..., zumeist an den falschen Stellen. Und der Erfolg dieser Methode? Hat das Kürzen, das Streichen, das Absenken nachhaltig etwas genützt? Im Ge- genteil: Unsere Stadt steht schlechter da denn je.
Apropos Pleite und Schulden (ca. 3 Milliarden)! Wo es Schuldner gibt, gibt es auch Gläubi- ger! Und sind diese Gläubiger nicht auch ausgerechnet jene Banken, welche sich mit einem 500 Milliarden ?Schutzschirm für Banken? von den Steuerzahlern haben retten lassen? Wäh- rend diese Banken teils wieder lustig zocken, konnten sich Bundes- und Landesregierung bis heute nicht für einen ?Schutzschirm für Kommunen? erwärmen.
Stattdessen erleben wir, wie das aktuelle ?Kürzungspaket? aus Berlin die Bankenrettung und Geschenke für Hoteliers wiederum auf dem Rücken der schwächeren Bevölkerungsteile und der Kommunen finanzieren will. Das ist schlicht skandalös, wird von Regierenden und Me- dien aber ebenso als ?Sparen? bezeichnet.
Die neoliberale Steuerverzichtspolitik der letzten Jahre zugunsten der Reichen, die enorme Zinslast, eine Steuerarchitektur zu Ungunsten der Städte, sowie die anhaltende Missachtung der Konnexität (Ü3- und U3-Betreuung) sind hauptursächlich für die Lage unserer Stadt, von eigenen monströsen Fehlentscheidungen der jeweiligen Ratsmehrheiten in Essen als ver- schärfendes Moment nicht abgesehen.
Und seit Jahren und X Haushalten tragen die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt die Fol- gen dieser Art von Haushaltskannibalismus. Ein Etat wie der der Stadt Essen, welcher selbst pflichtige Leistungen für seine Bürger, mittlerweile aus einem 1,9 Milliarden Dispo (Kassen-
kredit) berappen muss, ist allein mit Bordmitteln nicht konsolidierbar. Das wäre, wie die Bröt- chen am Morgen auf Kredit zu kaufen.
Und in Wahrheit ist diese Tatasche jedem Verantwortlichen bewusst! Auch hier im Rat. Höchste Zeit also, dass Oberbürgermeister und alle Fraktionen den BürgerInnen reinen Wein einschenken, anstatt für oft billige politische Geländegewinne immer noch das Gegenteil zu behaupten.
Betrachten wir die aktuellen Zahlen zum Haushalt, bleibt festzuhalten, dass der schwarz- grüne Doppelhaushalt von 2008/09 grandios gescheitert ist. Daraus mache ich ihnen (schwarz-grün) angesichts der genannten Rahmenbedingungen keinen Vorwurf. Was ihnen aber vorzuwerfen ist, dass sie sich damals wie heute hier in der Pose des notorischen Bes- serwissers gefallen. Das ist entlarvend, das ist unbegründet, und das ist unredlich!
Schwarz-Grün in ihrer fünfjährigen Ratsehe, und die alte Stadtspitze haben nämlich in Wahrheit die Spaltung der Stadt vertieft. Und schwarz-grün im Verein mit FDP und EBB scheinen heute da weitermachen zu wollen, wo sie schon damals versagt haben. Hier der Verzicht auf eine angemessene Gewerbesteueranpassung, begründet durch unbelegte Ängste vor der Abwanderung von Unternehmen, da eine noch stärkere Erhöhung der Grundsteuer B, was alle Haushalte, vor allem einfache Mieter durch Umlagen besonders belastet. Das also ist grün-bürgerlicher Gerechtigkeitssinn!
Spaltung der Stadt vertieft!
Die Armutsentwicklung und Spaltung in Essen ist heute dramatischer denn je:
?    Weit über 80 Tausend EssenerInnen sind auf Hilfen wie Hartz4 oder Sozialgeld an- gewiesen.
?    Noch immer werden Hartz4- und Sozialgeldberechtigte durch Zwangsumzüge drang- saliert, weil ihre Miete die so genannte Angemessenheitsgrenze aus dem Jahre 1993 (!) überschreitet.
?    Jeder zwölfte Essener ist überschuldet, und es trifft allein 12 Tausend Kinder, die in überschuldeten Haushalten leben.
?    Ein Drittel aller Kinder unter 15 Jahren müssen in Hartz4 leben.
?    Die Hälfte aller bis 18jährigen in dieser Stadt erhält so genannte Transferleistungen.
?    Der Almosendienst ?Essener Tafel? kann die Nachfrage kaum bewältigen.
?    Kinder im Essener Norden sind weniger gesund als andere, und medizinisch schlech- ter versorgt, weil sich viele Kinderärzte lieber in den Speckecken der Stadt tummeln.
?    Kinder im Norden sind deutlich bildungsbenachteiligt und zudem fehlen rund 2000 Ki- taplätze um zukünftig allein die Rechtsansprüche bei den Über-Dreijährigen zu be- friedigen. Von der desolaten Entwicklung im Bereich der unter Dreijährigen einmal abgesehen.
Vor diesem Hintergrund ist dem ehemaligen Chef des Büros für Stadtentwicklung, Klaus Wermker, nur zuzustimmen, wenn er in der NRZ vom 19. März diesen Jahres äußert: ?Mit einem solchen Sparkurs verschärfen wir die Spaltung der Stadtgesellschaft.?
Unabgestimmt, unausgewogen, unsozial!
Wie gesagt, dieser ?Sparkurs? ist in Wahrheit ein Kürzungskurs. Und dieser Kürzungskurs ist unsozial, weil er Menschen in Einkommensarmut, Schwellenhaushalte und Familien mit Kin- dern am stärksten trifft.
?Ungleiches, ungleich behandeln? war die wohlfeile Devise in der Einbringungsrede des O- berbürgermeisters. Zur Abstimmung steht hier und heute aber das Gegenteil:
?    Lineare prozentuale Kürzungsvorgaben für die Geschäftsbereiche und deren Bud- gets.
?    Starre Personalkürzungsvorgaben ohne Folgenanalyse für bürgerorientierte Dienst- leistungen und ohne vorheriger Aufgabenkritik zusammen mit den Beschäftigten.
?    einheitliche Gewinnabführungsmargen bzw. Kürzungsvorgaben an die Beteiligungs- unternehmen, weitgehend ungeachtet deren Aufgaben, Struktur und wirtschaftlicher Potenz. Nach dem Motto: Welche Gewinnabführungshöhe beschließen wir denn heu- te mal?
So etwas nennt man landläufig Rasenmäherprinzip! Und dazu gilt offenbar das ?Prinzip Hoffnung?!
Glaube und Hoffnung
Herr Oberbürgermeister, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
der Kämmerer mag noch so engagiert, so wortgewandt und mit fast missionarischem Eifer suggerieren, dass mit seinem Haushalt und seinem HSK unsere Stadt ihre Handlungsfähig- keit zurückerhielte bzw. neu gewönne. Nun gut, das mag die Pflicht eines kommunalen Spit- zenbeamten sein. Dem Rat und seinen Mitgliedern verbietet es sich aber nach unserer Auf- fassung, sich in Haushaltsfragen von Glaube und Hoffnung leiten zu lassen.
Selbst wenn der RP nämlich unter Auflagen den Haushalt (ganz bestimmt aber nicht das Haushaltssicherungskonzept) irgendwann im Herbst genehmigen würde, welche neue Frei- heit brächte uns das wirklich? Die alte, neue ?Freiheit? des § 82 GO der letzten Jahre? Etwa um einen neuen Kreditrahmen auszuschöpfen, der die Überschuldung nur zementiert? Schöne Freiheit! Nur, mit kommunaler Selbstverwaltung hat diese Freiheit kaum etwas zu tun.
Die Haltung der Mehrheit hier im Rat erinnert mich an einen Spontispruch der Achtziger: ?Wir haben keine Chance,... aber nutzen wir sie!? Ein Rat voller Spontis?
Und unfreiwillig ist unser Kämmerer längst der ?Kommissar? der Aufsichtsbehörde, dummer- weise aus dem Stadtsäckel bezahlt. Dieser Unlogik, dieser Selbsttäuschung, wird sich die Linke Fraktion nicht unterwerfen.
Ziviler Ungehorsam statt kollektiver Selbsttäuschung
Was aber dann? Hände in den Schoss? Nach Hause gehen, und auf das faktische Ende der kommunalen Selbstverwaltung zynisch einen heben? Oder, wie es schwarz-grün mit FDP und EBB heute durch ihre gemeinsamen Anträge versuchen, weiter Verschlimmbessern? Nein!
Befreien wir uns lieber gemeinsam aus dieser ?Vergeblichkeitsfalle?. Richten wir uns ent- schieden dorthin, wo durch Handlungsverweigerung die Kommunen in den Bankrott getrie- ben werden. Bund und Land müssen handeln. Sofort! Wir brauchen einen Entschuldungs- fond. Sinnvoll wäre er dann, wenn die Finanzbeziehungen zwischen Bund/Land und Kom- munen zugunsten der Städte und Gemeinden endlich auf die Füße gestellt würden (hier ist u. a. die Vitalisierung der Gewerbesteuer unter Einbeziehung von Freiberuflern ein überfälli- ger Schritt, welcher von Schwarz-Gelb in Berlin noch verhindert wird).
Ebenso brauchen wir eine verfassungsrechtlich stärkere Stellung der kommunalen Ebene gegenüber Bund und Ländern sowie eine Reform der Kommunalaufsicht wie sie die Linke fordert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ziviler Ungehorsam ist gefragt, welcher angesichts der Haushaltslage durchaus auch darin bestehen könnte, kein Haushaltssicherungskonzept zu beschließen. Das wäre ein zumindest ein kleines Zeichen! Genehmigt wird das HSK ja ohnehin nicht! Lassen wir es doch einmal darauf ankommen, anstatt mit Haushaltskannibalismus die Strukturen unserer Stadt weiter kaputt zu kürzen. Hierfür dann zusammen mit dem Oberbürgermeister in Handschellen ab- geführt zu werden, wäre uns doch sicher allen eine große Ehre. Ich bedauere, dass es so- weit nicht kommen wird.
Verfassungsklage
Mindestens aber ? und dies beantragt meine Fraktion hier und heute ? ist eine Verfassungs- klage gegen die unzureichende Finanzausstattung der Kommunen fällig, so wie in anderen Städten und Kreisen, zuletzt mehrheitlich beschlossen im März in Duisburg.
Trotz grundsätzlicher Kritik meiner Fraktion, hat die Linke den Haushaltsentwurf sehr intensiv beraten und stellt heute Anträge, welche gewissermaßen exemplarisch stehen. Auch wird meine Fraktion den Anträgen anderer Fraktionen dann zustimmen können, wenn damit gro- be Fehlentscheidungen im Entwurf und einige besonders unsoziale Giftzähne gemildert oder verhindert werden.
Fazit
Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Stellen wir uns als gewählter Rat an die Seite der Bürger, vor allem der zigtausend Ärmeren und Schwächeren in dieser Stadt. Hören wir auf Vollstrecker der staatlichen Aufsicht im Na- men einer grundfalschen Landes- und Bundespolitik zu sein. Täuschen wird der Stadtöffent- lichkeit nicht weiter Konsolidierung vor, wohl wissend, dass wir dies ohne Entschuldung und ohne tiefgreifende Änderungen der Gemeindefinanzierung nicht erreichen können.
Dazu braucht es Mut und Courage des gesamten Rates
Es scheint aber leider, die große Mehrheit hier ist entschlossen, sich von der staatlichen E- bene weiter erpressen zu lassen. Es scheint ebenso, die Mehrheit des Rates will sich auch weiterhin auf eine fragwürdige Mittlerfunktion zwischen Verwaltung und BürgerInnen zurück- ziehen. So aber verkommt Kommunalpolitik endgültig zur Legitimation nicht gewünschter Notwendigkeiten. Dabei macht DIE LINKE. nicht mit. Dieser Logik wird sich die Linke nicht länger unterwerfen.
Auch die Menschen unserer Stadt wollen und können diesen angeblich alternativlosen Kür- zungskurs nicht mehr klaglos hinnehmen. Das ist gut so!
Die Linke Fraktion lehnt diesen Haushalt ab!