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Duisburg

"Unsere Stadt ist bilanziell k.o."

Hermann Dierkes, Vorsitzender Linksfraktion Duisburg

Haushaltsrede 2010 von Hermann Dierkes, Vorsitzunder Linksfraktion Duisburg

Herr Oberbürgermeister.
Meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

unsere Stadt ist bilanziell k.o., die Schulden- und Zinslast erdrückend. Dies trotz der Tatsache, dass seit 1994 ein Kürzungspaket das nächste jagt und wir seit 2001 unter Nothaushaltsrecht stehen - mit harten Auflagen der Kommunalaufsicht. Dies alles mit gravierend negativen Auswirkungen für die Mehrheit unserer Stadtbevölkerung, für so vieles, was eine Stadt lebens- und liebenswert macht, zum Schaden für alles, was den Kernbestand der grundgesetzlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung bildet. Hauptziel sind immer die sog. freiwilligen Leistungen ? ich kann das Wort nicht mehr hören. Es sollte auch dem Lexikon der Politik gestrichen werden! Die jüngste globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Misere drastisch verschärft.
Unsere Stadt sitzt trotz aller Anstrengungen und Opfer, trotz aller Findigkeit der Stadtverwaltung und der Beteiligungsbetriebe in der viel zitierten ?Vergeblichkeitsfalle?.Wir stehen dabei nicht allein. Schon in wenigen Jahren droht einem Dutzend NRW-Städte und mehr der bilanzielle Exitus.
Niemand kann noch ernsthaft bestreiten, dass die wesentlichen Ursachen nicht hausgemacht sind, sondern im wesentlichen
- in der generationenlangen wirtschaftlichen Monostruktur mit ihren Krisen,
- der hohen Dauererwerbslosigkeit und verbreiteten Armut sowie
- in der verheerend falschen gesamtstaatlichen Finanz- und Steuerpolitik
zu suchen sind. Die chronische Unterfinanzierung ? vor allem der sozialgesetzlichen Pflichtaufgaben zu Lasten der Kommunen, die falsche Verteilung der Kosten der deutschen Einheit, eine abenteuerliche Steuerverzichtspolitik zugunsten der Reichen, eine langjährige Umverteilung von unten nach oben sowie die Konzentration von Wirtschaftsressourcen auf eine finanzmarktgetriebene Profitmaximierung haben neben den Folgen kapitalistischen Wirtschaftens ? Arbeitslosigkeit und Armut - einen gewaltigen Scherbenhaufen hinterlassen. Für Frau Vogt von der CDU handelt es sich allerdings um die Folge der ?Verteilung individueller Wohltaten, mit denen jetzt Schluss sein müsse?. Für mich, Frau ist ihre Diagnose nichts anders als das Echo auf einen Minister Westerwelle, der unlängst von ?spätrömischer Dekadenz? geschwafelt hat. Wir haben in diese Stadt rund 35.000 vollkommen überschuldete haushalte, 8.300 Haushalten wird wegen Zahlungsunfähigkeit der Strom abgeschaltet. Gehen Sie doch endlich mal nach Marxloh, Bruckhausen, Hochfeld und nach anderswo, Frau Vogt und schauen Sie sich an, wo die Armut aus allen Knopflöchern guckt. Auch unter Ihrer Ägide, seit 2004 Frau Vogt, ist die Zahl der Vollzeitjobs weiter rückläufig und nähert sich nur noch ganzen 140.000, obwohl Sie doch angeblich alles besser können! Sie tun ja geradeso, als könnten Sie mit kommunalen Instrumenten Investitionsentscheidungen von Konzernzentralen stoppen oder herbeiführen. Wollen Sie uns weis machen, dass Sie den massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen in der örtlichen Stahlindustrie mit einer Senkung der Gewerbesteuer um 20 Punkte verhindert hätten? Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Kolleginnen und Kollegen, ich bin lange genug Gewerkschafter, ich kenne diese Sprüche alle bis zum Überdruss.
So kann und darf es nicht weiter gehen. Wir brauchen dringend neue Konzepte und Instrumente. Ich kann das hier aus Zeitgründen nicht ausführen, aber dazu zählt ganz sicher eine gesamtstaatliche Finanz- und Steuerreform. Unabweisbar ist ein Entschuldungsfonds, vor allem für die Kommunen, die wie wir auf der ?7. Sohle? kratzen oder in Kürze dort landen werden.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ratsfraktion DIE LINKE ist davon überzeugt: Wer die Sachzusammenhänge kennt und sich seiner Verpflichtungen aus dem  Amts- und Mandats-Eid erinnert, kann und darf in der kommunalen Haushaltspolitik nicht von der Prämisse ausgehen: ?Wir müssen sparen, es hilft uns niemand?. Die armen Kommunen befinden sich in einer Lage, die mit einer Familie vergleichbar ist, deren erwachsene Mitglieder gezwungen sind,  für einen Unternehmer zu arbeiten, der ihr nur 1.500 Euro zahlt und sie obendrein noch darauf verpflichtet, in einer Werkswohnung zu hausen, für die er monatlich 1.800 Euro verlangt. Die Verschuldung und Überschuldung der Familie ist absehbar. Sie wird entweder ausgehungert oder muss revoltieren.

Oberbürgermeister und CDU stehen für ein Maßnahmenpaket, das den Haushalt im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung bis 2013 um mindestens um 150 Millionen Euro entlasten soll. Zahlreiche Positionen im Haushaltssicherungskonzept (HSK) finden unsere Billigung, insbesondere Positionen, die im Organisationsbereich OB bzw. Verwaltung liegen, weil sie der Sache nach vertretbar sind. Aber zahlreiche Kürzungen und Einschränkungen im soziokulturellen Bereich, weitere Privatisierungen in Kernbereichen und weitere unsoziale Belastungen treffen auf unseren entschiedenen Widerstand. Die zahlreichen, heftig umstrittenen Maßnahmen liegen glücklicherweise nach der Kommunalverfassung in der Entscheidungskompetenz des Rats.
Seit Wochen erleben Rathaus und kommunale Politik Demonstrationen und eine Protestaktionen - aus dem Vereinssport, aus dem Bildungs-, Kinder- und Jugendbereich, aus der örtlichen Künstler- und Kulturszene. Auch heute protestieren wieder zahlreiche MitbürgerInnen vor dem Rathaus. Die Menschen wollen und können diesen angeblich alternativlosen Kurs von Kürzung und Kahlschlag nicht mehr klaglos hinnehmen. Und wir sagen: Das ist gut so!
Zu dieser Uhrzeit können wir bereits feststellen: Diese Proteste waren und sind nicht vergeblich.
Als Ergebnis der Kommunalwahlen, als Ergebnis harter politischer Arbeit und zahlreicher Gespräche mit Betroffenen in den letzten Wochen und Monaten ist es uns gelungen, eine neue Haushaltsmehrheit zu schaffen, die für eine andere Haushaltspolitik steht. Die Fraktionen SPD, Grüne und DIE LINKE stellen sich gemeinsam der dramatischen und zutiefst ungerechten Überschuldung unserer Stadt, aus der  uns die Zinslasten zu erdrücken und unkalkulierbar zu werden drohen. Auch wir streben an, den örtlichen Haushalt im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung um mindestens 150 Mio. Euro zu entlasten, die Überschuldung Duisburgs und die enorme Zinslast anzugehen, wieder einen jahresbezogenen Ausgleich zu erreichen und kommunale Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen. Unsere Dreierkooperation stellt sich dieser Herausforderung. Gleichermaßen  mit dem Entwurf des OB ? der von CDU und weiteren Parteien dieses Rates unterstützt wird ? wollen auch wir sinnvolle und vertretbare Einsparungen in der Verwaltungsorganisation und bei den politischen Gremien. Auch wir mahnen demonstrativ die zugesagten, aber ausgebliebenen finanziellen Erleichterungen des Bundes bei gesetzlichen Pflichtaufgaben an wie Kosten der Unterkunft für Hartz IV-Empfänger, KiTas, Solidarfonds Deutsche Einheit usw. Diese Posten haben auch wir in einer Größenordnung von rund 50 Millionen Euro in die HSK-Zielstellung einer mittelfristigen Haushaltsentlastung von mindestens 150 Mio. Euro aufgenommen. Das ist ein Drittel des Entlastungspakets. Aber mehr noch: Wir legen dem Rat Beschlussanträge vor und bitten um Zustimmung, den OB zu beauftragen, allein oder mit anderen Verfassungsbeschwerde anzustrengen. Ziel ist es, endlich den Konnex bei der Durchführung gesetzlicher Aufgaben und finanzielle Vernunft herzustellen. Motto: Wer die Musik bestellt, muss sie bezahlen.

Die klaren Unterschiede zwischen unserem Konzept und dem von OB und CDU lassen sich wie folgt zusammen fassen:
- Keine Brechstange in den soziokulturellen Bereichen. Knapp 18 Mio. Euro an vorgesehenen Kürzungen bzw. Verschlechterungen wollen wir verhindern
- Nur moderate neue Belastungen für die Mehrheit der EinwohnerInnen, die wir leider nicht vermeiden können und die zu den Stellgrößen gehören, die die Kommune überhaupt hat, um Einnahmen zu erzielen wie Hundesteuerer, Hallengebühren für Vereine, Eintrittsgelder im Kulturbereich, erhöhte Parkgebühren im Innenstadtbereich. Aber nur im Rahmen des Vertretbaren bzw. mit sozialen Komponenten
- Eine Personalpolitik, die arbeitsmarktwirksam bleibt, Ausbildungsquoten und Übernahmen von Auszubildenden sicherstellt und auch aus Sicht der Personalvertretung verlässlich und kalkulierbar bleibt
- Verbesserte Einnahmen. Hier nur die wichtigsten: Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes um 20 auf 490 Punkte; verbesserte interkommunale Zusammenarbeit; Einführung einer Kulturtaxe auf Hotelübernachtungen von 3 Euro; weitere Geschwindigkeitskontrollen; Vermietung von städtischen Dachflächen für Solaranlagen.

Auf eine Erhöhung der Grundsteuer B wurde verzichtet, weil diese auf die Mieten durchschlagen würde.
Und wissen Sie, Frau Vogt, im Rahmen der Verhandlungen um eine Haushaltsmehrheit wäre die CDU bereit gewesen, die Kulturtaxe zu schlucken. Jetzt, wo sie Teil unserer Kompensationsvorschläge ist, machen Sie daraus eine ?Lachnummer? und prophezeien Sie den Untergang der Abendlandes. So etwas nenne ich den Menschen Sand in die Augen streuen!
Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren, wir sind uns absolut im Klaren darüber, dass unser alternatives Haushaltskonzept nur ein Erste-Hilfe-Koffer ist. Aber er ist anders gepackt als der von Ihnen, Herr Oberbürgermeister und der CDU zusammen gestellte. Er hat einen anderen sozialen Bezug und er wird den Interessen der Mehrheitsbevölkerung dieser Stadt und den Schwachen gerecht, soweit wir das mit kommunalen Mitteln überhaupt noch vermögen.

Ein Wort noch an die ? übrigens starken - wirtschaftlichen Akteure, die als Folge der von der Dreierkooperation - nach langen Abwägungen und Berechnungen - befürworteten Erhöhung der Gewerbesteuer bereits den ?Untergang des Abendlandes? prophezeien. Ihre Argumente überzeugen nicht. Auch für Sie ist eine lebendige und zukunftsfähige Stadt mit einer ausgezeichneten Infrastruktur, effizienten öffentlichen Dienstleistungen und guten Sozial-, Kultur-, Bildungs-, Jugend- und Sporteinrichtungen absolut unverzichtbar und Grundlage des geschäftlichen Erfolgs. Weiche Standortfaktoren nennt man so etwas. Auch Sie brauchen eine effiziente und hoch motivierte Verwaltung und keine überalterte, unterbesetzte und langsame Bürokratie. Für all das braucht eine Kommune Einnahmen. Verweigern Sie sich deshalb nicht.
Die zahllosen Gespräche mit Betroffenen und die phantasievollen Proteste, meine Damen und Herren, haben überdies erneut bewiesen: Es gibt ein enormes bürgerschaftliches Potenzial an Ideen, Kreativität und Verantwortungsbewusstsein. Lassen sie uns den Menschen endlich handfeste Mitspracherechte beim Haushalt und seinen Prioritäten einräumen. Die bezirklichen Haushaltstage müssen qualitativ ausgebaut und auf die gesamtstädtische Ebene gehoben werden. Wir brauchen den Beteiligungshaushalt, wie er schon in vielen Städten der Welt Praxis ist.
Meine Damen und Herren, die Dreierkooperation ist sich außerdem darin einig: Keine weiteren Privatisierungen in zentralen Bereichen, insbesondere kein weiterer Verkauf von Gesellschafteranteilen beim Klinikum, kein Verkauf von WBD, Gebag, der GMVA usw. Diese Beteiligungsbetriebe oder städtischen Einrichtungen sind auch künftig für öffentliche Daseinsvorsorge und demokratische Steuerung unverzichtbar. In den meisten Fälle würde ihre Teil- oder Komplettveräußerung geringere Konsolidierungsbeiträge erbringen als die Dividenden, die wir in unser HSK eingestellt haben.

DIE LINKE fordert außerdem demonstrativ die Einführung einer Millionärssteuer, die nach unseren Berechnungen allein Duisburg pro Jahr 240 Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen bringen würde. Wir wissen: Es handelt sich um einen symbolischen Antrag. Aber wir möchten, dass dieses politische Signal überregional ankommt und der OB auch auf diesem Gebiet tätig wird, um auf die Bundesebene einzuwirken und bitten um die Zustimmung des Rates.
Und wir bitten Rat und Verwaltung, auch noch über folgenden Vorschlag nach zu denken: Sollten sich Bund und Land weiterhin der nachhaltigen Entlastung der Kommunen hartnäckig verweigern, dann sollten wir Überweisungen an Bund bzw. Land demonstrativ zurück zu halten und für eine solche Vorgehensweise im Rahmen des regionalen Bündnisses ?Raus aus den Schulden? werben. Die unter dem populären Begriff ?Bankenabgabe? derzeit in Berlin vorbereitete Maßnahme lässt insbesondere für die Kommunen nichts Gutes erwarten. Des weiteren wollen wir eine verfassungsrechtlich stärkere Stellung der kommunalen Ebene gegenüber Bund und Ländern sowie eine Reform der Kommunalaufsicht. Diese darf sich nicht länger als einseitiger Hebel gegen die Kommunen verstehen, um verfehlte zentralstaatliche Politik durch zu setzen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der alternativen Haushaltssatzung zeigen wir örtlichen Sparwillen. Die Linksfraktion übernimmt Verantwortung und wird erstmals in dieser Stadt einem von ihr mit konzipierten Haushaltsentwurf  bzw. einem HSK zuzustimmen. Unsere Verantwortung erstreckt sich in erster Linie auf die Mehrheit dieser Stadt und ihre Interessen und auf die vielen Bedürftigen. Wir erwarten von der Kommunalaufsicht, den Haushalt wohlwollend zu prüfen und unserer Stadt, ihren BewohnerInnen und ihrer Zukunft eine Chance zu geben.
Ein weiteres ?Nackigmachen? geht nicht mehr. Jetzt sind andere am Zuge! Die Landtagswahlen am 9. Mai können dafür die Weichen stellen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linksfraktion bittet um Ihre Zustimmung zum alternativen Haushaltsentwurf.

Ich danke für die Aufmerksamkeit!